Es war furchtbar – das nehme ich mal als Einstieg zu diesem Beitrag. Das war nämlich auch das, was ich meiner Familie antwortete auf deren Frage „Wie war’s?“, und es kam aus tiefster Seele. Referentin Annemarie Berghoff von der Direktion Kriminalität der Polizei Höxter hingegen bekam kaum Fragen zu hören bei ihrem Informationsabend „Cybercrime“ in der Schul-Aula. Mehrmals unterbrach sie ihren Vortrag: „Haben Sie dazu Fragen?“. Schweigen bei den rund 30 Zuhörerinnen und Zuhörern. Es war kein Desinteresse, auch nicht Allwissenheit, welches dieses Schweigen verursachte. Es war Beklemmung. Betroffenheit sowieso. Und es war Irritation darüber, dass man all das, was man hier hörte, eigentlich bereits wusste, und trotzdem diese Beklemmung verspürte.
Man bekam tatsächlich vieles zu hören über Cybercrime, was einem in Medienberichten regelmäßig unterkommt. Doch an diesem Abend kommen die Fakten anders an. Fakten über Situationen, die sich alltäglich und harmlos anbahnen – etwa bei Video-Spielen, Fakten darüber, was den Heranwachsenden im Nachgang widerfährt, all das schildert Berghoff in sachlichem Plauderton, man hört ihr gerne zu. Und gleichzeitig krampft sich in einem drinnen alles zusammen. Sie berichtet aus dem Kreis Höxter, sie berichtet, was „sich auf unserem Schreibtisch stapelt“. Sie schildert, warum „meine Kollegen frühmorgens an den Türen von Familien klingeln, sich mit ‚Kripo‘ vorstellen und dann die Räume durchsuchen und Endgeräte mitnehmen“. Das geschieht, wenn der Radar bei den IT-Forensikern des Bundeskriminalamtes anschlägt und diese Information zusammen mit der Haushaltsadresse an die Kollegen vor Ort weitergegeben wird. Sämtliche Kontakte des Betreffenden werden im weiteren Verlauf unter die Lupe genommen und dort Inhalte ermittelt, die bei jenen nicht zwangsläufig aktiv gesucht oder angefordert wurden, sondern die diese über soziale Medien erhalten haben. Die in der Bildergalerie automatisch gespeichert bleiben. Es sei denn, man hat aktiv eine entsprechende Einstellung am Smartphone vorgenommen – nur eine der Infos, die Berghoff an diesem Abend gibt.
Sie zeigt einen Videobeitrag mit nachgestellten Situationen. Schüler schildern hier, was ihnen an Gewaltvideos zugespielt wurde. Und wir Eltern denken nur eines: „Unser Kind soll so was nie zu sehen kriegen, nie, nie, nie.“ Die Realität spricht eine andere Sprache. „Das hier waren alles Fälle, die bei uns gelandet sind“, und wieder: „Fälle, die sich am Schreibtisch der Kollegen stapeln“. Etwa aus Anzeigen von Eltern zutiefst verstörter Kinder. Auch im Kreis Höxter. „Trotz der Menge nur die Spitze des Eisberges“, sagt Berghoff. Das meiste der kursierenden Bilder und Videos gelange nicht zur Kripo – aus Scham, aus Ignoranz, auch aus dem – fälschlichen – Gefühl heraus, ohnedies machtlos zu sein. Sie berichtet von alltäglichen Chatverläufen, die unverfänglich beginnen und mit zermürbender Erpressung seitens organisierter Banden enden. Auch hier gelange vieles nicht bis zur Polizei.
Berghoff gibt den Eltern Ratschläge mit auf den Weg, Anregungen, Konkretes, was man im Alltag tun kann, um dieser mauerhohen Welle zumindest in der eigenen Familie etwas entgegenzusetzen. Sie schildert eindringlich die Tragweite von gelebter oder verabsäumter Medienerziehung in der Familie. Sie unterstreicht die Bedeutung des Im-Gespräch-Bleibens mit dem Nachwuchs. Man wünscht sich, was eine Mutter in Worte fasst: „Können Sie zum Beispiel diese Videos nicht einer Allgemeinheit zur Verfügung stellen, sodass viele Eltern sich das ansehen können?“ Man möchte, dass alle informiert sind. Und man ist froh, dass Berghoff ihre Vorträge auch in den Klassen hält – in abgemilderter Form. Dort ist es dann Teil des Unterrichts für jeden einzelnen Schüler, jede einzelne Schülerin, Pflichtveranstaltung. Und keine Einladung, der man folgt oder auch nicht.
Weiterführende Informationen: www.soundswrong.de